5. November

Lothar Popp: „Als wollte die Natur mitfeiern, ging heil die Sonne am 5. November hoch, brach ihre Strahlen in dem leuchtenden Rot der Fahnen, die von allen Türmen und Schiffen wehten.“ (Popp, Kiel 1918, S. III, 23) Um 2 Uhr morgens wird Gouverneur Souchon auf Befehl des Soldatenrates vorübergehend (für 4 Stunden) festgenommen und als Geisel im Bahnhof festgehalten. Gründe hierfür sind Gerüchte, dass weitere Militäreinheiten zur Niederschlagung der Revolution auf dem Weg nach Kiel seien. Am frühen Morgen des 5. November werden auf allen öffentlichen Gebäuden und auf den Schiffen in Kiel rote Fahnen gehisst, nur auf der „König“ gibt es Widerstand. Der Kommandant, sein Adjutant und der erste Offizier verschanzen sich bei der Fahne und versuchen, die Matrosen aufzuhalten. Ein Matrose wird erschossen, im anschließenden Feuergefecht stirbt der Adjutant, der Kapitän und der 1. Offizier werden schwer verwundet. Auf den anderen Schiffen leisten die Decksoffiziere keinen Widerstand. Sie resignieren.

10 Uhr: Der Arbeiterrat kontrolliert die Stadtverwaltung, deren Spitzen nicht ausgewechselt werden. Beigeordnete aus dem Arbeiterrat kontrollieren die Arbeit der Verwaltung. 13 Uhr: Große Versammlung auf dem Wilhelmplatz von mehreren Tausend Menschen. Es wurde den gefallenen Opfern gedacht. Nachmittags: Gustav Noske wird Vorsitzender des Soldatenrates, der sich neu konstituiert
Im Laufe des Tages kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Offizieren und Matrosen, die in Kiel patrouillieren. Stadtkommandant Heine wird von einer Patrouille erschossen, die ihn eigentlich verhaften soll. Bei den Auseinandersetzungen an diesem 5. November sterben insgesamt 10 Menschen, 21 werden verletzt. Am Abend flieht der Bruder Kaiser Wilhelms, Prinz Heinrich, aus dem Kieler Schloss auf sein Gut Hemmelmark bei Eckernförde. Aus Angst, erkannt zu werden, versieht er sein Auto mit einer roten Fahne, steckt sich ein rotes Tuch an und setzt sich selbst ans Steuer. Auf seinem Weg lässt er an der Levensauer Hochbrücke zwei Matrosen einsteigen, die um eine Mitfahrtgelegenheit nach Eckernförde bitte. Wenig später kommt es zu einem Zwischenfall. Das Auto wird beschossen, einer der Mitfahrer tödlich getroffen. Prinz Heinrich erreicht unbehelligt sein Ziel Hemmelmark. Gustav Noske: „Der Soldatenrat sollte im Gewerkschaftshaus tagen. Dorthin wandte ich mich. Von einem Soldatenrat oder einer sonstigen Leitung war jedoch keine Spur zu entdecken. In dem Hause summte und schwirrte es durcheinander wie in einem riesigen Bienenstock. Hunderte Menschen wollten Auskünfte haben. Niemand wusste Bescheid zu geben.“ (Noske, Berlin 1920, S. 18) Bernhard Rausch: „Das große Kieler Gewerkschaftshaus war im Nu zu einer lauten Kaserne geworden, in der es von fröhlichen Blaujacken wimmelte. In den stillen Räumen und Versammlungssälen, in denen früher nur die Waffen des Geistes geschärft worden waren, rasselten jetzt Gewehre, Karabiner, Pistolen, Maschinengewehre und Munition, womit die Matrosen ausgerüstet wurden, die noch nicht bewaffnet waren. Und in den Bureauräumen, in denen jahrelang ein stiller Bienenfleiß fein säuberlich gebaut hatte, und in denen sich jetzt vorübergehend allerhand Komitees einnisteten, herrschte bald ein geniales Durcheinander von Zetteln, Kaffeetassen, Schreibmaschinen, Waffen, so dass sich manch alter ehrlicher Klassenkämpfer bedenklich hinter den Ohren kraulte.“ (Rausch, Kiel 1918, S. II 19) Gustav Noske: „Zu 1 Uhr (13 Uhr- U.S.) war wieder eine große Demonstrationsversammlung auf dem Wilhelmsplatz angesagt, in der Bericht erstattet werden sollte. Kurz vorher setzte ein heftiger Regen ein, den ich deswegen begrüßte, weil zu erwarten war, dass er eine ganze Anzahl von Leuten von der Straße vertreiben würde. Ich erinnerte mich, irgendwo gelesen zu haben , dass eine Revolution noch in den seltensten Fällen gemacht worden sei, wenn die Leute einen Regenschirm brauchten. Der Zuzug zum Wilhelmsplatz war aber ungeheuer, trotz der schlechten Witterung. Der weite Platz war mit Tausenden und Abertausenden von Blaujacken bedeckt. Sie kamen aus verschiedenen Kasernen, zum Teil mit Musikkorps und großen roten Fahnen.“ (Gustav Noske, Berlin 1920, S. 17) Lothar Popp: „Ich erinnerte dann an die historische Bedeutung, die der Wilhelmsplatz in Kiel für das revolutionäre Proletariat während der letzten Jahre erlangt hatte, und gab der Hoffnung Ausdruck, dass diesmal der Bewegung ein voller Erfolg beschieden sei, wenn auch nicht sofort, da die anderen Völker jetzt im Siegestaumel vielleicht zauderten, aber in absehbarer Zeit werde, durch unser Beispiel angespornt, die arbeitende Bevölkerung der ganzen Welt ihre historische Aufgabe erkennen und erfüllen. Es wurde der gefallenen Opfer gedacht und mit einem begeistert aufgenommenen Hoch auf die Internationale und die inhaftierten Kieler Genossen erreichte die imposante Demonstration ihr Ende.“ (Lothar Popp, Kiel 1918, S. III 24)