Publikation Staat / Demokratie - Kommunalakademie Zum Wahlausgang in Schleswig-Holstein (Kommunalwahl 2008)

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Autor

Ulrich Schippels,

Erschienen

Juni 2008

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Der Artikel liegt als PDF-Datei vor (siehe rechte Spalte)von Birger Heidtmann


Im Februar 2007  wurden konkrete Pläne der USA bekannt, Abfangraketen in Polen und Tschechien zu stationieren. Diese Raketen sollen ein Teil des Raketenabwehrschirms der USA sein, Ronald Reagans Krieg der Sterne lässt grüßen.

„Der geplante Raketenabwehrschirm der USA dient in erster Linie dem Schutz der USA und der Absicherung ihrer aggressiven globalen Machtpolitik. Statt die eigene Praxis der nuklearen und raketentechnologischen Forschung und Zusammenarbeit mit anderen Staaten zu korrigieren, verlässt sich die US-Regierung auf ihren technologischen Vorsprung und zieht die gesamte Welt in eine neue Phase des Wettrüstens hinein“, heißt es in einer Pressemitteilung der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

Tatsächlich sind die US-amerikanischen Träume einer nationalen Raketenabwehr fast so alt wie die Atombombe. Auf eigenen Territorium musste die USA nach dem amerikanischen Bürgerkrieg, abgesehen von dem Trauma des Angriffs auf Pearl Harbour durch die Japaner keine Attacken befürchten.

Aber die Entwicklung der Atombombe machte die USA potentiell so verwundbar, dass sie sich nach ihren eigenen Maßstäben nicht mehr als souverän bezeichnen konnte. Die Vorstellung, dass das Land mit dem in der Geschichte der Menschheit stärksten Militärapparat der Welt nicht zu verteidigen ist, war in den Augen aller amerikanischen Regierungen eine Anormalität, eine Gefahr, die es zu beenden gilt.

Zum zweiten stellte auch der kalte Krieg mit der Blockauseinandersetzung einer militärischen Machtpolitik klare Grenzen. Eine militärische Interventionspolitik, wie wir sie heute erleben, war aufgrund der damaligen Stärke der Sowjetunion nicht möglich. Ein funktionierendes Raketenabwehrsystem hätte der US-amerikanischen Großmachtpolitik neue Möglichkeiten eröffnet.

Historie

1966 billigte der US-Kongress erstmals Mittel für ein Abwehrsystem zum Schutz von 25 Städten in den USA. Die zumindest damals festgestellte technische Unmöglichkeit eines umfassenden Schutzschildes gegen die atomar hochgerüstete Sowjetunion führte zu verschiedenen Modifikationen in den Projekten.
Unter dem Eindruck der ersten Atombombe in China (1964) wurde das „Sentinel“-Projekt begonnen, um sich vor der angenommenen Gefahr aus Fern-Ost zu schützen. Kurze Zeit später wurde die Idee eines Abwehrsystems zum Schutz der Raketensilos diskutiert, welches die sogenannte „Zweitschlagkapazität“ gewährleisten sollte. Allerdings sind alle diese Projekte erfolglos eingestampft worden, nachdem vorher 6 Mrd. US-Dollar investiert werden. Die Erkenntnis, dass es allemal billiger ist, Angriffsraketen anstelle von Abwehrwaffen zu bauen, setzte sich damals durch. Der Rüstungswettlauf mit der SU war mit Abwehrwaffen nicht zu gewinnen.

Logische Konsequenz war der ABM-Vertrag, der zu einer vertraglichen Reduzierung möglicher Abwehrsysteme führte. Der damalige US-Präsident Nixon begründete seine Zustimmung folgendermaßen: „Obwohl mein ganzer Instinkt mich dazu bewegt, das amerikanische Volk mit einem vollständigen Schutz gegen einen großen Atomangriff zu schützen, steht es derzeit nicht in unserer Macht, dies zu erreichen.“

Reagans Krieg der Sterne

Der erneute Paradigmenwechsel in der US-Militärpolitik wurde durch Ronald Reagan eingeleitet. Am 23.03.1983 propagierte er den Krieg der Sterne: „Wie wäre es, wenn freie Menschen in der Gewissheit leben könnten, dass die Sicherheit nicht von der Drohung einer unmittelbaren atomaren Vergeltung eines sowjetischen Angriffs abhinge und dass wir strategische Raketen abfangen und zerstören könnten, bevor diese unser eigenes Territorium und das unser Alliierten erreicht.“

Ideologisch abgesichert wurde diese Initiative durch Begriffe wie „der Kampf zwischen richtig und falsch“, zwischen „Gut und Böse“, „freie“ und „unfreie“ Welt.

Hintergrund dieser neuen Bemühungen zur Installierung eines Raketenabwehrschirms waren die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den USA und UDSSR, die Verschärfung des Rüstungswettlauf (Stichwort: SS 20 auf der einen Seite, Stationierung von Cruise Missiles und Pershing II in Europa auf der anderen Seite) und die Auseinandersetzung mit der Friedensbewegung in Europa, in den USA mit der „Freeze“-Kampagne.
Das neue Programm wurde SDI getauft („Strategic Difense Initiative). Teure aber wenig erfolgreiche Tests riefen die alte Erkenntnis in Erinnerung, das ein absoluter Schutz gegen einen hochgerüsteten Staat wie die Sowjetunion praktisch unmöglich ist.

Nach dem Ende der Blockauseinandersetzung beerdigte Präsident Clinton zumindest offiziell das SDI-Projekt. Es wurde allerdings in das sogenannte „GPALS-Projekt“ überführt. Ziel war es, einen Schutz vor einem Angriff der USA durch die sogenannten „Schurkenstaaten“ zu realisieren.

Der Begriff „Schurkenstaat“ – ursprünglich als innenpolitischer Kampfbegriff in den USA benutzt – wurde von Ronald Reagan in die außenpolitische Debatte eingeführt, um aus Sicht der USA repressive Regimes zu benennen, die nicht auf der Seite der USA standen. In der Clinton-Aera definierte dessen Sicherheitsberater Anthony Lake „Schurkenstaaten“ als „widerspenstige und gesetzlose Staaten“, welche „die Zonen des Friedens gefährden“.

Die neuere US-amerikanische Terminologie bezeichnet solche Staaten, die sich dem Hegemonieanspruch der USA widersetzen als „states of concern“, so z.B. die letzte Außenministerin der Clinton-Administration, Madelaine Albright.

National Missile Difense

1995 beschloss der US-Kongress den Aufbau eines nationalen Raketenabwehrsystems zum Schutz vor diesen sogenannten „states of concern“.
1998 erstellte eine Kommission des US-Kongresses unter Donald Rumsfeld eine Bedrohungsanalyse, in der behauptet wurde, dass Nordkorea und Iran innerhalb von fünf Jahren ein Raketenprogramm installieren könnten, welches die USA erreichen könne.

Um diese mutmaßliche Gefahr zu eliminieren, setzt die USA auf zwei Strategien. Im Rahmen der sogenannten „counterproliferation“ wird versucht, die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Auf der anderen Seite wird der Raketenabwehrschirm weiterentwickelt. Schon 1999 wurde das Gesetz zur Stationierung eines NMD-Systems „sobald wie technisch möglich“ erlassen
(http://www.fas.org/spp/starwars/program/news99/missile061599.gif). Bis zum Abschluss des „National Missile Difense“-Systems (2011 bis 2013) sollen mindestens 250 Abfangwaffen stationiert werden. Ein Teil der Abwehrwaffen soll in Polen und Tschechien stationiert werden. Allerdings hängt die Realisierung des Projektes gegenwärtig weit hinter dem Zeitplan zurück.

Erinnert sei an das Eingangszitat aus der Presseerklärung der Fraktion DIE LINKE.:

„Der geplante Raketenabwehrschirm der USA dient in erster Linie dem Schutz der USA und der Absicherung ihrer aggressiven globalen Machtpolitik.“

Tatsächlich ist dies auch das Hauptmotiv für die Raketenabwehrpläne.

Denn wer die militärische Kontrolle über die weltweiten Ressourcen als legitime Verteidigung definiert, der muss konsequenter Weise sicherstellen, dass seine Interventionstruppen auch dann noch eingreifen können, wenn der jeweilige Gegner über Atomwaffen und Raketen verfügt.

Auf der anderen Seite gerät die Welt durch diese aggressive US-Politik in ein atomares Dilemma. Natürlich versuchen sich Staaten zu schützen, die sich den hegemonialen Interessen der USA nicht beugen wollen und die eine Intervention durch die USA fürchten. Der Drang nach Atomwaffen ist also (zumindest zu einem großen Teil) die andere Medaille der US-Hegemonialpolitik.

Die Folgen der Einführung eines Raketenabwehrschirms sind laut einer Studie der Carnegie-Stiftung in Washington kurz auf den Punkt gebracht:

- Die Chinesen sehen das NMD-System als Entwertung ihres eigenen relativ bescheidenen Atomwaffenpotentials. Als Folge wird China das Atomwaffenprogramm ausweiten. Dies gilt auch für andere Atommächte wie Indien und Pakistan.
- Das Streben nach Atomwaffen in weiteren Staaten im Süd- und Ost-asiatischen Raum wird angeheizt.

Eine neue Rüstungsspirale wird so in Gang gesetzt. Letztlich bleibt die alte Erkenntnis der Friedensbewegung: Eine friedlichere Welt kann nur durch eine Politik der militärischen Selbstbeschränkung, einer Politik der ökonomischen Ausgleichs durch eine gerechte Weltwirtschaftsordnung realisiert werden.

Die Erfolglosigkeit einer militärisch dominierten Außenpolitik ist auch in der aktuellen Afghanistan-Strategie erkennbar: Die Sicherheitslage verschlechtert sich seit Monaten im ganzen Land; Selbstmordattentate in Kabul und auf den amerikanischen Vizepräsidenten Dick Cheney in Bagram sind deutliche Signale. Soldaten verlassen nur noch in gepanzerten Fahrzeugen ihre Camps. Aufbauhilfen bei der Justiz und der Polizei wurden nur halbherzig geleistet, die Reduzierung des Mohnanbaus (damals auch ein Grund für den Angriff auf Afghanistan) nicht einmal ernsthaft versucht. Die Bundesregierung gibt 420 Millionen Euro jährlich für den Bundeswehreinsatz aus, für den zivilen Aufbau nur 1/5 davon.
Afghanistan braucht statt einer und folgender Militäroffensiven eine „Groß-Offensive des zivilen Aufbaus und der Entwicklungsförderung“.
Die Bevölkerung Afghanistans braucht eine Perspektive der zivilen Entwicklung – keine deutschen Tornados!

Birger Heidtmann

P.S.: Einen guten Überblick über die US-amerikanischen Raketenabwehrpläne bietet das 2001 erschienen Buch „Das atomare Dilemma“ von Eric Chauvistre